
Der Vollmond im Märchen spielt eine große Rolle. Alle wissen darum: Wenn Vollmond ist, erscheint uns die Nacht heller. Und es stimmt: Im Mondlicht können wir alles sehen und unterscheiden. Die Natur um uns herum glänzt nicht so wie im Sonnenlicht. Doch sehen können wir gut.
Es gibt Handlungen, die nur bei Vollmond vorgenommen werden sollen. Dazu gehört das Sammeln von Heilkräutern. Oder die Märchen beschreiben astronomische Zusammenhänge. Das dient der mündlichen Weitergabe alten Wissens über die Gestirne am Himmel. Märchen enthalten also nicht nur erotische Elemente, sondern auch astronomische oder andere Weisheiten.
Der Vollmond im Märchen und astronomische Zusammenhänge
Die Stellung von Sonne und Mond am Sommer- und am Winterhimmel wird im Märchen Schneewittchen thematisiert. Im Sommer steht die Sonne höher am Himmel als der Mond, im Winter niedriger. Schneewittchen steht für die Sonne, die Stiefmutterkönigin für den Mond. So herrscht die Königin im Winterhalbjahr und verbannt ihre Stieftochter. Die verbringt den Winter bei den sieben Zwergen, die wir mit dem Siebengestirn vergleichen können. Wenn im Frühjahr die Sonne dort vorüberzieht, endet die Herrschaft der Stiefmutter und Schneewittchen kann die neue Königin an der Seite des Prinzen werden. In der Frage “Wer ist die Schönste im ganzen Land?” spiegelt sich der Wechsel von Sonne und Mond am Himmel wider. Die Königin ist die Schönste im Winter, wenn der Vollmond hoch am Himmel steht. Schneewittchen wird die Schönste im Sommer, denn dann steht die Sonne höher als der Vollmond.
Oder das Märchen von den sieben Geislein. Es beschreibt eine Besonderheit von Bedeckungen der Sterne durch den Mond. Es gibt die Konstellation, dass der Mond sechs Sterne des Siebengestirns bedeckt und damit unsichtbar macht. Sie sind für unser Auge weg wie sechs der sieben Geislein, die der Wolf frisst. Der siebente Stern bleibt sichtbar. Das siebente Geislein wird verschont. Der Mond zieht weiter und alle sieben Sterne des Siebengestirns sind wieder sichtbar. Die gefressenen Geislein werden aus dem Bauch des Wolfes lebend befreit.
Im Märchen Hase und Igel steht der Hase für den Mond und der Igel für die Sonne. Der Mond beginnt seinen Lauf am Abendhimmel als kleine Sichel, die neben der Sonne steht. Nach einem Monat kommt er als schmale Sichel am Morgenhimmel an. Die Sonne ist bereits da. So startet der Hase seinen Lauf neben dem Igel, rennt und rennt und rennt. Als er im Ziel ankommt, ist der Igel bereits da. Diesen Wettlauf führen die beiden immer wieder aus, bis der Hase vollkommen erschöpft niederfällt. Das steht für das Zyklische in den astronomischen Konstellationen am Himmel. Jeden Monat neu verfolgen wir den Lauf des Mondes.
Vollmondlicht
Im Märchen vom Eisenhans soll der Held seiner Mutter des nachts einen Schlüssel unter dem Kopfkissen weg stehlen, damit er den Eisenhans befreien kann. Und in welcher Nacht? Natürlich bei Vollmond. Im Märchen Zwergnase muss der verwunschene Gnom mit der langen Nase, der als Koch arbeitet, ein bestimmtes Kräuterlein sammeln, um wieder entzaubert zu werden. Er kann es leuchten sehen natürlich nachts bei Vollmond.
Nicht nur in deutschen Märchen spielt der Vollmond eine Rolle. In der kolumbianischen Legende von der Prinzessin von Guatavita, die sich verzweifelt mit ihrer Tochter in die Lagune stürzte, erscheint sie immer bei Vollmond über dem Wasser und schwebt über den Nebelschwaden.
Aus England stammt das Märchen “Der beerdigte Mond”. Hier leutet der Mond den nächtlichen Wanderern durch das Moor und zeigt den Weg. Scheint er nicht, erscheinen Geister. Der Mond will dem Geistertreiben ein Ende bereiten, wird allerdings von diesen gefangen genommen und beerdigt. Die Menschen wundern sich und ziehen los, um ihn zu befreien. Das gelingt.
In allen diesen Märchen und Legenden geht es darum, das wir bei Vollmond unsere Umwelt sehr gut wahrnehmen, sprich sehen können, ohne das gleißende blendende Licht der Sonne. Die Menschen überwinden ihre Ängste in der Dunkelheit, alle Pflanzen stehen bei Vollmond voll im Saft. Das Ernten von Kräutern soll bei Vollmond deshalb gut sein, weil sie dann die beste Heilkraft besitzen. So geben die Märchen über den Vollmond viele Weisheiten von Generation zu Generation mündlich weiter.
